Gebirgsstelze
Gebirgsstelze
Motacilla cinerea (Tunstall, 1771)
Text und Fotos: Th. Ratjen
Über einige Jahre habe ich Gebirgsstelzen gehalten und auch erfolgreich vermehren können. In diesem Porträt mit ergänzenden Angaben zur Haltung und Zucht möchte ich Ihnen diese elegante und interessante Stelzenart gern einmal vorstellen.
Systematik:
Ordnung: Passeriformes – Sperlingsvögel
Unter Ordnungen: Passeres – Singvögel
Familie: Motacillidae – Stelzen
Gattung: Motacilla
Unterarten: Motacilla cinerea canariensis; Motacilla cinerea schmitzi; Motacilla cinerea patriciae; Motacilla cinerea robusta;
Namen:
Englisch: Grey Wagtail
Französisch: Bergeronnette des ruisseaux
Niederländisch: Grote gele Kwikstaart
Beschreibung:
Länge 18 bis 19 cm. Beim Männchen im Brutkleid sind Bart- und Überaugenstreifen weiß, Oberkopf und Wangen grau. Kinn und Kehle bis zur Brust sind schwarz, die Oberseite ist aschgrau, der Bürzel grünlich gelb. Die Flügel sind schwarz mit hellen Säumen. Der Schwanz ist lang und schwarz, die äußeren Federn hell. Die Unterseite ist gelb. Im Ruhekleid ist die Kehle weißlich, die Brust gelbbräunlich. Weibchen im Brutkleid mit wenig, mitunter auch ganz ohne schwarze Kehle. Die Unterseite ist weniger lebhaft, blasser gelb gefärbt. Im Schlichtkleid wie Männchen. Juv. mit bräunlicher Oberseite und undeutlichem, rahmfarbenen Überaugenstreif. Die Geschlechter der Jungvögel sind nicht sicher zu bestimmen, hier habe ich immer einen DNA Test durchführen lassen. Sie ist die einzige einheimische Stelze mit hellen, nicht schwarzen Ständern.
Verbreitung und Biotop:
Die Gebirgsstelze ist hauptsächlich in Mittel- sowie in Süd- und Südosteuropa verbreitet. In mediterranen Verbreitungsgebieten ist sie durchaus ein Standvogel. In den restlichen Gebieten ist die Gebirgsstelze ein Kurz- oder Mittelstreckenzieher, die im Winter im südlichen Europa oder in Afrika überwintert.
Die Art ist stärker an Wasser gebunden als andere europäische Stelzenarten. Typische Brutbiotope sind bewaldete, schattenreiche, schnell fließende Bäche und Flüsse mit Geröllufern, zeitweise trocken fallenden Geschiebeinseln, wildbachartigem Charakter, wenig tiefen, strömungsarmen Stellen und Nistmöglichkeiten bietenden Steilufern. Die Art kommt aber auch an baumarmen Bachläufen, über der Baumgrenze und gelegentlich mitten in Siedlungen und im Gegensatz zur Wasseramsel auch an sehr kleinen, wenig Wasser führenden Bächen vor, solange sie rasch fließen und geeignete Nistplätze, schattige Stellen sowie Singwarten (z.B. hohe Fichten, Pfähle, Skilifte) vorhanden sind. Sie fehlt aber an völlig offenen Bächen und besiedelt selten schmale, überwachsene Kleinbäche, träge fließende Flüsse mit verbauten Ufern und stehende Gewässer, wenn der Zugang zum Spülsaum durch Verbauung oder reiche Ufervegetation behindert wird. Vor allem im Tiefland spielen Mühlen, Wehre oder Überläufe von Staustufen, lokal auch Teiche von Fischzuchtanstalten eine wichtige Rolle. In Südeuropa brütet die Gebirgsstelze gelegentlich an steilen, nur zeitweise Wasser führenden Gräben und Erosionsrinnen bewaldeter Hänge. Die Wasserqualität scheint keine entscheidende Rolle zu spielen. Außerhalb der Brutzeit ähnliche Biotope, aber auch an großen Flüssen (besonders Blockbau- oder Betonböschungen, Schleusen, Brücken und anderen Bauwerken), stehenden Gewässern, Kläranlagen, Entwässerungsgräben, an der Küste an Buhnen, ferner in Salzsümpfen, Trockenflüssen, Reisfeldern und an Zisternen. Seltener und gewöhnlich nur kurzfristig findet man sie auch abseits von Gewässern in Gärten, Wiesen, auf Äckern, an Weg- und Straßenrändern, in Siedlungen, an Abfallgruben und Miststöcken, ausnahmsweise sogar in trockenen Steppen.
Haltung:
Nach dem Erwerb habe ich die Gebirgsstelzen paarweise in Aussenvolieren untergebracht. Hier gibt es unterschiedliche Erfahrungen bei den Züchtern. Meine Paare konnte ich das ganze Jahr ohne Probleme zusammen lassen. Bei der Vergesellschaftung machte ich aber widersprüchliche Erfahrungen, während das eine Paar in einer 15m² großen Voliere ohne Schwierigkeiten mit Arten wie z. B. Rotdrossel, Bergfink oder verschiedenen Cardueliden (nicht zeitgleich!) vergesellschaftet werden konnte erwies sich das andere Männchen in einer mit 40m² deutlich größeren Voliere als sehr aggressiv gegenüber Arten wie Berghänfling, Chinagrünling oder Goldammer. Hier habe ich die Gebirgsstelzen entfernt und allein in einer Voliere von 2x2x2,2 m (LxBxH) untergebracht. Meine Volieren sind alle komplett überdacht und an den Seiten mit Holz verkleidet (siehe in meinem Porträt unter www.vogelfreundekaltenkirchen.de). Bepflanzt sind sie mit z. B. Eibe, Bambus, Buchsbaum, Gräsern und verschiedenen Stauden. Für die Stelzen sollte immer viel Bodenfläche frei bleiben, da sie sich hier meist aufhalten. Als Wasserbecken habe ich Granitbachlaufschalen mit einem Durchmesser von ca. 80 cm verwendet, diese sind ca. 2 cm hoch mit Wasser gefüllt und werden von den Stelzen oft aufgesucht. Wie in der Natur wird der Kot der Jungvögel leider auch bei der Volierenhaltung in den Wasserbecken abgelegt was zu einer deutlichen Verschmutzung führt und ein täglich mehrmaliges säubern erfordert. Reicht man im Winter Wasser und Futter frostfrei, so können die Vögel ganzjährig in den Aussenvolieren verbleiben.
Fortpflanzung:
In der Natur:
Die Geschlechtsreife wird zu Ausgang des 1. Lebensjahres erreicht. Die teils ausgeprägte Reviertreue kann zu mehrjähriger Wiederverpaarung derselben Partner führen. Eine Paarbildung erfolgt in der Regel nach Ankunft am Brutplatz, doch können standorttreue Paare auch gemeinsam überwintern. Die Reviergründung erfolgt durch das Männchen. Für die 1,0 scheint Reviertreue die Regel zu sein, bei Weibchen ist sie weniger ausgeprägt. Eine Nistplatztreue kommt bei Männchen und Weibchen vor. Im Brutgebiet überwinternde Männchen können den Brutplatz im Herbst und Winter in Intervallen zunächst nur am Morgen, später (Dezember) auch am Abend aufsuchen und (das eigene Weibchen ausgenommen) Territorialverhalten zeigen. Männchen und Weibchen inspizieren verschiedene Stellen, tragen zuweilen Nistmaterial herbei, das abgelegt, wieder aufgelesen und an einen anderen Ort gebracht oder fallengelassen wird. In der Natur steht das Nest in der Regel in unmittelbarer Nähe fließender Gewässer. Mit Vorliebe in Löchern, Spalten und Nischen aller Art: unter Brücken, in Uferverbauungen, Mauem, Wehren, Schleusen, an Gebäuden, in Felsnischen, Erdhöhlen oder Wurzelwerk von Abbrüchen und Böschungen, in Holzstößen, Kletterpflanzen an Gemäuer usw. Mangel an artspezifischen Niststellen in der Natur (im Dachauer Moos konnte der Bestand von 7 Paaren durch quer zum Bachlauf unter Brücken angebrachte Nistkästen auf 19 vergrößert werden. 7 von 11 Nester wurden in Nisthilfen für Wasseramseln errichtet) bewirkt oft Ausweichen an seltenere Standorte wie Bäume, alte Vogelnester (Wasseramsel, Amsel, Rauch-, Mehl- und Uferschwalbe – bis 60 cm vom Röhreneingang, Eisvogel), auf Dachbalken, unter Ziegeln, in Dachrinne, auf Fensterbank, in Blumentopf, Eimer, hohem Farnkraut usw. Nach oben völlig offene Nester (in Mauerfarn, nach Rotkehlchenart in eine Böschung gebaut oder auf eine Ufermauer aufgesetzt) sind Ausnahmen. Bei Folgebruten wird dasselbe Nest oft mehrmals benutzt. Nester für Ersatzbruten sind von der verunglückten Brut weiter entfernt als auf eine geglückte Brut folgende Nester. Das Nest besteht meist aus drei deutlich unterscheidbaren Teilen, nämlich dem Unterbau aus Moos, Würzelchen, Grashalmen, Laub, Nadelholzreisern, Rindenstücken u.ä., dem Napf aus demselben, aber ausschließlich feinem Material und der Innenauskleidung der Mulde aus Tierhaaren seltener feinem Pflanzenmaterial, Wolle oder sehr wenig Federn.
Das Material für die Mulde wird von beiden Altvögeln oft aus weiter Entfernung geholt, aber meist vom Weibchen allein verbaut. Die Nestbaudauer beträgt 5–10 Tage, bei Ersatz- und Zweitbruten ist diese oft kürzer. Wo mehrere gleiche Nistmöglichkeiten nahe beieinander liegen, werden manchmal gleichzeitig mehrere Nester begonnen, von denen aber in der Regel nur eines zur Eiablage benutzt wird. Die Eier sind rahmfarben oder ganz blaßgrau mit gelblichem oder bräunlichem, gelegentlich sogar grünlichem Anflug. Die matte Wölkung ist nur wenig dunkler als die Grundfarbe. Die Gelegegröße beträgt meist 4–6 Eier. In Mitteleuropa ist der Legebeginn ab Ende März, ausnahmsweise schon Mitte März. Es werden meist 2 Jahresbruten durchgeführt. Die Brutdauer beträgt ca. 12 bis 14 Tage, die Nestlingsdauer 12 bis16 Tage. Das Gelege wird tagsüber von Männchen und Weibchen bebrütet. Der brütende Altvogel verlässt das Gelege beim Erscheinen des Partners, so dass die Eier nur kurze Zeit unbebrütet bleiben. Tagsüber kann der Brutanteil des Männchens jenem des Weibchens nahe kommen, nachts brütet ausschließlich das Weibchen. Die Nestlinge werden vom Schlüpftag bis nach dem Ausfliegen von beiden Partnern gefüttert. Eischalen und kleine tote Nestlinge werden weggetragen, kleinste Schalenbruchstücke gefressen. Taube Eier bleiben meist im Nest. Die Kotbälle der Nestlinge werden während der ersten beiden Tage von den Altvögeln gefressen, dann in zunehmender Zahl und vom 5. Tag ausschließlich ans Wasser getragen. In den ersten Tagen werden die Jungen zeitweise auch tagsüber gehudert wobei das Weibchen bei Fütterungen des Männchens oft nur zur Seite rückt oder das Futter übernimmt und weitergibt. Nachts werden die Jungen bis zum 5. – 7. Lebenstag vom Weibchen gehudert. Die Nestlinge betreiben ab dem 6. Tag regelmäßig Gefiederpflege, vom 12. Tag an werden bewegte Objekte (Fluginsekten, Ameisen) aufmerksam verfolgt, seltener wird danach gepickt. Falls es der Neststand erlaubt, beginnen sich die Jungen vom 11. Tag an vorübergehend bis 30 cm von der Mulde zu entfernen. Das eigentliche Ausfliegen erfolgt erst, wenn die Jungen einigermaßen fliegen können, entweder spontan oder – besonders wenn Geschwister bereits ausgeflogen sind und die Fütterungsfrequenz abnimmt – im Anschluss an eine Fütterung. Mitunter zieht sich das Ausfliegen einer Brut über 2 Tage hin. Flügge Junge vermögen den Futter suchenden Eltern schon nach wenigen Stunden zu folgen und nach einem Sturz ins Wasser mit Flügelschlägen das Ufer zu erreichen. Die Familie bleibt in den ersten Tagen in Nestnähe und wird, wenn das Weibchen mit einer Folgebrut beginnt, bis 3 Wochen lang vor allem oder ausschließlich vom Männchen betreut. Die selbständigen Jungen können im ,,Territorium“ (Voliere) der Eltern bleiben. Nach dem Ausfliegen werden die Jungen (wenn eine weitere Brut folgt, allein vom Männchen) noch etwa 1 Woche gefüttert. 2 Wochen nach dem Ausfliegen verlassen sie gewöhnlich das elterliche Territorium. Unter den durch Predation oder Störungen verursachten Verlusten rangiert der Mensch (z.B. Fischer, Kinder) an erster Stelle, mit Abstand gefolgt von Rabenvögeln und Kleinsäugern, in Einzelfällen Graureiher, Sperber, Schlangen u. A.
Wie man der Beschreibung aus der Natur entnehmen konnte sind die Gebirgsstelzen bei der Nistplatzwahl nicht sehr wählerisch.
In der Voliere wurden bei mir immer Halbhöhlen aus Holz oder Holzbeton angenommen welche in einer Höhe von ca. 1,5 m angebracht wurden. Diese wurden nur ganz wenig mit künstlichem Grün verkleidet. Als Nistmaterial habe ich feine Wurzeln, Gräser und Pferdehaar (wichtig, nur kurze Haare verwenden!) gereicht. Das Nest wurde in der Regel in 4-6 Tagen gebaut, das Gelege bestand meist aus 4-5 Eiern. Teilweise wurden auch 3 Jahresbruten durchgeführt.
Ernährung:
Der Nahrungserwerb erfolgt in der Regel an steinigen oder sandigen Gewässern mit vielen seichten Stellen (zur Brutzeit meist an Fließgewässern), aber auch auf Viehweiden, Äckern, Misthaufen, Kiesplätzen und an Rändern von Wegen, Straßen und Wiesen. Sitzende Insekten werden von Steinen aufgepickt, von Grashalmen, Baumstämmen oder Mauern im Rüttelflug oder durch Hochspringen abgelesen, zwischen Geröll am Ufer oder im seichten Wasser hervorgeholt. An Bächen mit vielen untiefen Stellen stammt die Nestlingsnahrung zur Hauptsache aus diesem Bereich. Meist wird je Flug nur ein Insekt gefangen. Kleine Beutetiere werden sofort abgeschluckt, größere entweder heftig gegen eine harte Unterlage geschlagen oder durch Schnabelhiebe bearbeitet. Flügel von Schmetterlingen und großen Steinfliegen sowie Sprungbeine von Heuschrecken werden entfernt, wobei das Tier an der Extremitätenbasis gehalten und zu Boden geschlagen wird.
Der starken Biotopbindung entsprechend vor allem am und im Wasser lebende kleine Wirbellose, insbesondere Insekten in allen Entwicklungsstadien, nämlich Fliegen, Schnaken, Mücken, Schwebfliegenlarven, Köcherfliegen, Eintagsfliegen, Steinfliegen, Käfer, seltener Libellen, Heuschrecken,, Ameisen, Wespen, Wanzen, ferner Spinnen, Flohkrebse, auch kleine Mollusken und andere Insekten.
In der Ruhezeit habe ich die Gebirgsstelzen mit einem guten Insektenweichfutter der Fa. Muchaterra, abwechslungsreich genährten Mehlkäferlarven und gefrorene Pinkies gefüttert. Ab März werden zusätzlich gefrorene Buffalos und gefrorene Heimchen in unterschiedlichen Größen gegeben. Die gefrorenen Pinkies, Buffalos und Heimchen reiche ich in einer mit wenig Wasser gefüllten Tonschale. Hat man die Möglichkeit Wiesenplankton zu fangen so stellt dies eine hervorragende Ergänzung des Speiseplans dar. Zur Aufzucht der Jungen werden ausschließlich die Futterinsekten angenommen, das Weichfutter spielt jetzt keine Rolle mehr in der Ernährung. Auch die Futterinsekten beziehe ich seit Jahren in hervorragender Qualität von der Fa. Muchaterra. Selbstverständlich werden auch alle in der Voliere gefundenen Kleininsekten als Ergänzung gern genommen.
2017
Literatur:
„Handbuch der Vögel Mitteleuropas“ Urs N. Glutz von Blotzheim, Vogelzug Verlag