28 Okt, 2020

Ein Wochenende bei den Kranichen

Ein Wochenende bei den Vögeln des Glücks

Erschienen 09/2020 im „Vogelfreund“ Hanke Verlag

Bilder copyright Thomas Ratjen

Schon lange spielte ich mit dem Gedanken einmal für ein paar Tage nach Mecklenburg-Vorpommern zu fahren um Kraniche zu fotografieren. Allein es fehlte die Motivation dies allein auch in die Tat umzusetzen. Auf einer Versammlung der Hamburg Luruper Vogelfreunde lernte ich mit Helga dann eine begeisterte Fotografin kennen, mit der ich dieses Vorhaben dann auch endlich umsetzen konnte und so ging es im Oktober 2018 für ein Wochenende Richtung Groß Mohrdorf. Im Vorwege hatte sie dort eine Unterkunft im Naturcamp „Zu den zwei Birken“ gebucht. Zwischen Stralsund und Barth liegt das kleines Dorf Duvendiek, ca. 25km vom Ostseestrand in Zingst und 10 Minuten von Stralsund entfernt. Hier hat sich das Ehepaar Peter und Ines Leupold ein kleines Urlaubsparadies aufgebaut. Neben dem klassischen Campingurlaub kann man hier auch Urlaub in Ferienwohnungen oder Ferienhäusern machen. Es waren an dem Wochenende auch noch andere Naturfotografen anwesend. Diese trafen sich dort abends im Restaurant, zeigten und besprachen ihre Aufnahmen, so konnte man bei dieser Gelegenheit auch noch voneinander lernen und sich Anregungen holen.

Am Freitagnachmittag ging es dann zuerst zum Kranichzentrum in Groß Mohrdorf um den Schlüssel für die gebuchte Fotohütte abzuholen. In dem bedeutenden Rastgebiet der Kraniche, der Darß-Zingster-Boddenkette, befindet sich etwa 14 km nordwestlich von Stralsund seit September 1996 das NABU-Kranichzentrum in Groß Mohrdorf. Seit 2017 ist der NABU alleiniger Gesellschafter von Kranichschutz Deutschland. Das Zentrum heißt seitdem NABU-Kranichzentrum. In der ganzjährig geöffneten Dauerausstellung hatten wir die Möglichkeit, alles über den Graukranich und seine Verwandten zu erfahren. Informative Schautafeln, audiovisuelle Medien und Präparate geben einen Einblick in das Leben der beeindruckenden Großvögel. Der Eintritt ist für Einzelpersonen frei. Hier erfuhren wir die besten Beobachtungsplätze und bekamen aktuelle Informationen zum Zuggeschehen der Kraniche. Das NABU-Kranichzentrum ist außerdem Ausgangspunkt für zahlreiche Exkursionen und andere Veranstaltungen, wie die alljährlich im September durchgeführte „Woche des Kranichs“.

Es wurde uns der Schlüssel ausgehändigt, außerdem ein Eimer mit Mais, den wir am Morgen noch vor der Hütte verteilen sollten. Weiterhin bekamen wir zahlreiche Verhaltensregeln und bei Nichtbeachtung eine Gebühr von €300 und ein unbefristetes Verbot zur Nutzung der Fotoverstecke angedroht. Dieses, und auch die Größe der Hütte von lediglich 2,3×1,4×1,4m (LxBxH) für 2 Personen, konnte uns aber auch nicht abschrecken uns am nächsten Morgen auf den Weg zu machen. Für den Preis von € 75,- pro Person kann man sicherlich auch eine luxuriöse Übernachtung in einem tollen Hotel mit Frühstück und vielen Annehmlichkeiten buchen, da dies aber eher als Spende für den Kranichschutz gedacht ist zahlten wir es sehr gern. Als WC diente übrigens nur ein kleiner Eimer in der Ecke der Hütte, wir waren abends sehr froh, dass wir davon keinen Gebrauch machen mussten.

Die Fotohütten stehen auf bzw. an einer Ablenkfütterungsfläche für Kraniche. In der Darß-Zingster Boddenkette und Rügen werden bereits seit den 1990ern Ablenkfütterungen umgesetzt. Ziel ist es, die rastenden Vögel von den Neusaaten der Landwirte abzulenken und an die ungestörten, künstlichen Nahrungsflächen zu binden. Hierdurch werden Ernteschäden durch Kraniche und andere Rastvögel reduziert. Ablenkfütterungen sind eine effiziente Alternative zu den früheren Entschädigungszahlungen, die von Fraßschäden betroffene Landwirte erhielten. Auch die Kraniche profitieren von den Ablenkfütterungen, da sie nach dem Vertreiben von einer Neusaat störungsfreie Alternativen in der Region vorfinden.

Die Ablenkfütterungen werden im Frühjahr und Herbst durch Vertragsnaturschutz realisiert. Landwirte der Region werden beauftragt, auf ausgewählten Flächen Getreide oder Mais für Kraniche und andere Rastvögel zu streuen. Eine dieser Ablenkfütterungen befindet sich am Günzer See. Hier sieht man in der Vorsaison auch mal Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kranichzentrums mit einem Maiseimer über die Flächen streifen. Später wird die Verteilung des Futters aufgrund der Mengen jedoch maschinell fortgesetzt. Die Finanzierung übernehmen Kranichschutz Deutschland sowie das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt (StaLU) Vorpommern.

Durch den Einsatz von Kranich-Rangern versucht man Störungen zu verhindern, so dass sich meistens eine Vielzahl von Kranichen dort aufhält. Im Herbst, und hier besonders im Oktober, sind meist viele Kraniche auf der Fläche anzutreffen. Seit einigen Jahren sind oft schon im September Kraniche anwesend. Es sind dann meist weniger und es ist eher Ende September zu empfehlen. Eine Garantie kann es verständlicherweise nicht geben. 

Zuerst fuhren wir am Nachmittag aber zum Kranorama um uns den Weg einzuprägen und ein wenig mit den Örtlichkeiten vertraut zu machen. Das KRANORAMA ist eine barrierefreie Kranichbeobachtungsstation am Günzer See, die am 15.10.2015 eröffnet wurde. Es entlastet die bisherige und mittlerweile viel zu kleine Beobachtungsplattform am Günzer See. Audiovisuelle Medien und eine Live-Übertragung der Kraniche vom Feld auf einen großen Bildschirm machen das KRANORAMA zu einem modernen Aussichtspunkt. Selbst der Weg vom Parkplatz zum KRANORAMA ist ein Erlebnis, denn hier befinden sich viele Informationstafeln und Sitzmöglichkeiten um Kraniche zu beobachten. Die Besucher können sich so, wie die Kraniche, in Etappen zum Ziel bewegen. Das KRANORAMA wurde im Rahmen des Verbundvorhabens „Schatz an der Küste“ errichtet. Das Bundesamt für Naturschutz fördert das Projekt mit Mitteln des Umweltministeriums im Rahmen des Bundesprogramms Biologische Vielfalt. Von der Beobachtungsstation blickt man direkt auf die Günzer Seewiesen, einem Europäischen Vogelschutzgebiet und Nationalem Naturerbe, welches von Kranichschutz Deutschland naturschutzverträglich entwickelt wird.

Am Abend vorher machten wir aber noch einen Ausflug, den ich jedem Kranichliebhaber hier nur ans Herz legen kann. Von Zingst aus fuhr die „MS Schaprode“ eine „etwas andere Kranichtour“.
Ein anerkannter Experte vom Kranichinformationszentrum Groß Mohrdorf zeigte uns während einer vierstündigen Boddenfahrt bei, auf Wusch, leckerem Essen unvergessliche Details aus dem Leben der Kraniche. Wir hielten uns aber meist auf dem Deck auf um die, in die Übernachtungsgebiete, einfliegenden Kraniche zu beobachten und auch zu fotografieren. Durchgefroren, aber glücklich über einige tolle Bilder machten wir uns dann auf den Weg zurück ins Quartier.

Am nächsten Morgen um 05:00 Uhr klingelte der Wecker und nach einem recht bescheidenen Frühstück ging es in völliger Dunkelheit mit voller Ausrüstung und ein wenig Proviant zur Fotohütte. Diese Hütten müssen bis zum Einfliegen der Kraniche bezogen sein, und dürfen auch erst nachdem der letzte Kranich abgeflogen ist wieder verlassen werden. Das bedeutete für uns, dass wir, nachdem ich den Mais verteilt hatte, die Tür zur Hütte um 06:00 Uhr geschlossen und um 19:00 Uhr wieder geöffnet haben, ein verdammt langer Tag.  Nun hieß es warten und frieren. Gegen 07:00 Uhr flogen die ersten Kraniche über uns hinweg, ein beeindruckendes Bild. Dann die ersten Landungen direkt vor unserer Hütte, leider keine Kraniche, sondern hunderte verschiedener Enten und Graugänse, die sich an dem ausgebrachten Mais erfreuten. Auch Feldsperlinge fielen in riesigen Schwärmen ein, noch nie hatte ich so viele beieinander gesehen. Dann kamen endlich auch die Kraniche, lautes Rufen machte uns aufmerksam. Die Begeisterung war groß, diese schönen Vögel aus nächster Nähe beobachten zu können, oft standen sie nur wenige Meter vor der Hütte und jedes Geräusch und jede Bewegung hinter den Luken wurde schnell registriert, sodass wir sehr vorsichtig agieren mussten.

Nach der Kälte am Morgen wurde es gegen Mittag, bei wunderbarem Sonnenschein, fast unerträglich heiß in der Hütte, wir hatten schon hunderte Bilder auf der Speicherkarte (bis zum Abend waren es bei mir knapp 1200) und so langsam gab es aber wenig Neues zu entdecken. Verlassen durften wir die Hütte noch lange nicht, und bewegen konnte man sich darin auch wenig, so machten wir ein wenig die Augen zu, was bei dem Spektakel vor der Hütte, es waren inzwischen knapp 3000 Kraniche eingeflogen, gar nicht so einfach war. Der Abflug der Kraniche begann kurz nach 18:00 Uhr und gegen 19:00 Uhr hat der letzte Glücksvogel dann das Feld verlassen. Nach einem langen und anstrengenden, aber erfolgreichen und beeindruckendem Tag konnten wir wieder vor die Hütte treten. Es wurde zusammengepackt, die Hütte noch kurz durchgefegt und dann ging es Richtung Kranichzentrum, den Maiseimer und Schlüssel abgeben. Am nächsten Morgen fuhren wir nach Hause, gespannt darauf die Bilder am PC zu betrachten. Ich hoffe, ihr habt daran genauso viel Freude wie wir es hatten.